Sehr geehrte Frau Ministerin Künast!
Auf der Ministerratssitzung kommenden Dienstag und Mittwoch steht die
Richtlinie KOM 2002/0047 (KOD) "über die Patentierbarkeit
computerimplementierter Erfindungen" (Softwarepatent-Richtlinie)
in der Liste der A-Punkte.
Diese Liste darf nicht angenommen werden.
Erheben Sie bitte gleich anfangs, wenn vom Ratsvorsitzenden nach
Annahme der Agenda gefragt wird, ihre Stimme, und verlangen
Sie, die Softwarepatent-Richtlinie von der Liste der A-Punkte zu nehmen.
Gemäß den
Verfahrensregeln des Rates muss die vorläufige Tagesordnung 14 Tage
im voraus zugestellt werden. Die Softwarepatent-Richtlinie kam höchstens
2 Tage vor der Sitzung auf die Tagesordnung.
Gemäß Artikel 3 Punkte 7-8 der Verfahrensregeln genügt es, wenn ein Vertreter
diese späte Einbringung ablehnt.
The vorgeschlagene Text genießt keine qualifizierte Mehrheit im Rat.
Er wurde unter Verletzung der Geschäftsordnung des Rates in letzter
Minute in die Tagesordnung eingefügt.
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Polens Regierung hat am 19. Mai und erneut am 16. November
bekräftigt, dass sie den Ratsvorschlag nicht unterstützen
kann. Damit fehlt dem Ratsvorschlag aufgrund der seit
1. November geltenden Stimmengewichtung eine qualifizierte
Mehrheit.
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Die Niederlande sind durch Beschluss ihres Parlament am 1. Juli 2004
zur Enthaltung verpflichtet worden, was ebenfalls (auch ohne Polen)
bedeutet, das der derzeitige Ratsentwurf
keine qualifizierte Mehrheit mehr genießen dürfte.
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Weder von Polen noch von den Niederlanden hat es seit dem
1. November eine Unterstützung für den Ratstext gegeben.
Falls die Niederlande für den Ratstext votieren, droht dem
Minister Brinkhorst ein Misstrauensvotum im Parlament, welches
wiederum zu seiner Entlassung führen könnte.
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Eine Neuabstimmung ist nötig, da die Geschäftsordnung
des Rates eine qualifizierte Mehrheit zum Zeitpunkt der
offiziellen Verabschiedung verlangt. Auch wenn ein Punkt als A-Punkt
aufgelistet wird, bedeutet dies nur, dass keine Diskussion erforderlich
ist, nicht dass er keiner erneuten Abstimmung bedürfte.
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Der Gesetzestext des Rates ist von allen Fraktionen des
Deutschen Bundestags als unzureichend kritisiert worden.
Er genügt insbesondere nicht den Anforderungen an Klarheit
und Ausgewogenheit, die an einen Gesetzesentwurf mit dermaßen
weit reichender Bedeutung gestellt werden müssen.
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Die zum Ratsentwurf gehörigen
Erklärungsdokumente wurden erst Anfang Dezember verfügbar,
so dass die laut Zusatzprotokoll zum Amsterdamer Vertrag
nötige sechs-Wochen-Frist zur Konsultation
nationaler Gremien zum Zeitpunkt der Ratssitzung erst zur
Hälfte verstrichen sein wird.
Wie wichtig dies ist, zeigt bereits die nach der
COREPER-Sitzung (15. Dezember) eilig einberufene
Sondersitzung des niederländischen Parlaments.
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Die neuen Erklärungsdokumente sind für die Auslegung des Ratsstandpunktes
durch das Parlamentes maßgeblich, und sie fügen neue Aussagen hinzu, die
für die Bundesregierung unakzeptabel sein müssen:
Der Ratspapier lehnt sämtliche Änderungsvorschläge
des Europaparlaments ab. Anstelle einer Begründung wird
lediglich lapidar angemerkt, die Parlamentsänderungen seien
"nicht mit TRIPs vereinbar" oder spiegelten nicht die
"gängige Praxis" wieder.
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Die schriftlich dokumentierte Auffassung aller
Bundestagsfraktionen hält dem ersten Argument entgegen,
dass TRIPs ausdrücklich Urheberrechtsschutz für Software
verlangt, nicht aber eine Ausdehnung des Patentwesens auf
Software.
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Den sowohl vom Justizministerium als auch
von allen Bundestagsfraktionen geäußerten Sorgen über
die Erteilungspraxis des Europäischen Patentamtes zu
entnehmen, dass die "gängige Praxis" eben das ist, was
durch die Richtlinie korrigiert werden soll, nicht das,
woran die Richtlinie angepasst werden muss.
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Das Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente
im Amsterdamer Vertrag ermutigt ausdrücklich zu
einer Beteiligung der nationalen Parlamente am
EU-Gesetzgebungsprozess und sieht keineswegs vor, den
Ministerrat davon auszunehmen.
Vor diesem Hintergrund ist es unzulässig, die Einbringung
der Standpunkte mehrerer nationaler Parlamente (NL und DE)
in die Entscheidungsfindung des Rates behindern zu wollen.
Fazit: Ohne Neuabstimmung und Einbringung der Standpunkte der
Parlamente von NL und DE in die Entscheidungsfindung kann keine
legitmierte Entscheidung im Rat zustande kommen.
Jeder Versuch einer Verabschiedung ohne Legitimation ist mit
der Geschäftsordnung des Rates der EU nicht vereinbar.
Inhaltlich hat der Rat hat keine ordentliche Arbeit abgeliefert.
Wie der Bundestag festgestellt hat, hat der Rat die wesentlichen
Änderungsanträge des Europäischen Parlaments und deren Zielrichtung
ignoriert. Er hat ein Dokument produziert, das, versteckt in
irreführenden Schachtelsätzen mit doppelten Verneinungen, eine
grenzenlose Patentierbarkeit von Rechenregeln, Datenstrukturen und
Prozessbeschreibungen ermöglicht und jede wirksame Begrenzung
vereitelt. Dieses Dokument wurde von genau derjenigen Arbeitsgruppe
nationaler Patentamter erarbeitet, die auch im Verwaltungsrat des
Europäischen Patentamtes über genau diejenige ausufernde
Patentierungspraxis präsidiert haben, gegen die das Europäische Parlament
und der Bundestag sich wenden. Diese Ministerialbeamten haben sich
jedoch an den angesprochenen Problemen vorbeigedrückt und versuchen
nun, mit Hilfe dubioser Verfahrenstricks ein heißes Eisen loszuwerden.
Es wäre höchst fahrlässig, nun dem Europäischen Parlament die Aufgabe zuzuschieben, den Ratsvorschlag Richtlinie durch einen komplexen Abstimmungsprozess, dem in zweiter Lesung ungleich höhere Hürden gesetzt sind, zu korrigieren. Selbst wenn dies gelänge, käme danach der Vorschlag wieder zu der gleichen Arbeitsgruppe zurück, die sich schon bisher erfolgreich um eine Beschäftigung mit den Problemen gedrückt hat.
Die Konsequenzen einer schlechten Richtlinie sind
vom Bundesdelgiertenparteitag der Grünen am 3. November sehr deutlich aufgezeigt worden. Auch der Verbraucherschutz ist stark betroffen. Patente stellen, anders als etwa Urheberrechte und Marken, einen drastischen Eingriff in die Freiheit anderer dar. Deshalb waren sie traditionell auf das Gebiet der industriell angewandten naturwissenschaftlichen Forschung beschränkt. Mit der Ausweitung auf die Datenverarbeitung geraten aber nunmehr normale Büroarbeitsplätze und Wohnzimmer in die Schusslinie. Computerbenutzer sind zugleich Konsumenten und Produzenten. Als Produzenten werden sie durch Patente, insbesondere durch die von der Ratsarbeitsgruppe eingeführten Programmansprüche, empfindlich in ihren schöpferischen Freiheiten getroffen. Als Konsumenten zahlen sie höhere Preise für schlechtere und weniger sichere Software. Die negativen volkswirtschaftlichen Folgen von Softwarepatenten sind durch zahlreiche Studien belegt. Einige dieser Studien wurden von der EU und der Bundesregierung in Auftrag gegebenen. Für eine vorteilhafte Wirkung von Softwarepatenten auf die Wirtschaft oder die Verbraucher fehlt darin jeglicher Hinweis. Wohl nicht zuletzt aus diesem Grunde wichen die Patentbeamten und Großkonzernfreunde im EU-Rat bislang dem Thema aus und setzten stattdessen auf irreführende Wortspiele und demokratiefeindliche Verfahrenstricks.
Sehr geehrte Frau Ministerin,
Für das unselige Wirken der Patentrechts-Arbeitsgruppe im EU-Rat ist unser Justizministerium maßgeblich mitverantwortlich. Ob Sie sich diesem Treiben entgegen den Regeln der Geschäftsordnung und entgegen dem erklärten Willen aller Parteien des Bundestages und insbesondere entgegen dem sehr deutlichen Beschluss der Grünen Delegiertenkonferenz vom 3. November zum Erfolg verhelfen möchten, liegt aber in Ihrem Ermessen.
Aufgrund der Geschäftsordnung des Rates können Sie
diesmal die Softwarepatent-Richtlinie auch ohne Begründung von
der Tagesordnung nehmen lassen.
Wir bitten Sie, von diesem Recht Gebrauch zu machen.
Weitere Informationen finden Sie unter
Wenn Sie nicht Renate Künast sind, dann gehts für Sie
hier weiter.
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